Der Spotify Zahlen Wahn. Es ist nicht alles Gold was glänzt!

Mittwoch, 7. Februar 2024


Wer auf Social Media Bands folgt, kennt das Spiel. Gelegentlich werden, sich überschwänglich bedankend, tolle Spotify Zahlen präsentiert. Soweit so gut. Spotify ist, ob einem das gefällt oder nicht, für viele eine Art "Maßstab" geworden. Leider auch ein Maßstab für die Beurteilung von etwaiger Relevanz, auf die sich mitunter auch Veranstalter und Booker im Band-Bewerbungs-Dschungel verlassen.

Ein (falsches) Spiel ohne Gewinner
Sehr zum Nachteil der Entwicklung im Veranstaltungssektor treibt dieser Wahn aber manchmal kuriose Blüten. Klar, es gibt Bands die nachweislich ihre Klientel erreichen, mit guten Liveshows überzeugen, entsprechend CDs verkaufen und sich über längere Zeit ihr Standing erspielt haben. Jenseits davon tummeln sich allerdings hunderte Bands die ebenso um Aufmerksamkeit buhlen und einige von ihnen versuchen (weils mittlerweile so einfach ist) ihr Standing über gekaufte Spotify Plays aufzuwerten.
Es ist schon auffällig wenn einem z.B. auf Facebook dubiose "Spotify Promotion Services" als "Empfehlung" in die Timeline gespült werden, mit dem Hinweis versehen, dass sie auch Musiker Y (mit dem man befreundet ist), von Band X gefallen. Soso. Das erklärt dann vielleicht auch warum Band X ( die ansonsten eher regional agiert) eine 5 stellige Zahl an regelmäßigen Spotify Hörern vorweisen kann, womit sie dann entsprechend auch bei Veranstaltern für Slots auf Konzerten und Festivals Eindruck macht.

"... Da werden Veranstaltungen aufgrund schlechten VVKs abgesagt und alle sind überrascht, weil die 5-stellige Spotify "Größe" nur 50km von ihrem Heimatort entfernt keinen Menschen hinterm Ofen vorlockt...."

 



Gerade die Veranstaltungsbranche, nach Corona immer noch am Stock gehend, sucht (verständlicherweise) nach scheinbaren "Erfolgsgaranten" für ihre Bookings. Und dann? Dann werden Veranstaltungen 2 Wochen vorher aufgrund schlechten VVKs abgesagt und alle sind überrascht, weil die 5-stellige Spotify "Größe" nur 50km von ihrem Heimatort entfernt keinen Menschen hinterm Ofen vorlockt, und weitere 50km weiter überhaupt niemand kennt. 
Wie denn auch. Hier wurde einfach Betrag XY investiert um einen Song auf hunderten Playlisten unterzubringen, die zwar von 10000enden Hörern abonniert sind, dort aber eben auch nur im Radioshuffle Modus "nebenbei" laufen. Da die größten Playlistbetreiber im Ausland beheimatet sind, haben sie vor allem auch dort ihre Hörer. Ein kleines Festival in Niedersachsen hat aber überhaupt nichts davon, wenn eine ihrer Bands, von denen sie sich vielleicht wenigstens 15 verkaufte Tickets versprochen haben, irgendwo in Nordamerika von 10000 Leuten nebenbei gehört wird.

Gibt es nicht?
Mir wurden von einem Mitarbeiter der Branche mal CD Verkaufszahlen im direkten Vergleich zu Spotify Statistiken einer beispielhaften Band bereitgestellt. Um mal die Größenverhältnisse dieses konkreten "(Selbst)Betrugs" zu verdeutlichen: Mit Hiraes hat gerade eine Band mit ganz ähnlichen Spotify Zahlen (völlig verdient) den Einstieg in die deutschen Albumcharts auf Platz 36 geschafft und Endseeker im November gar auf Platz 22 - bei aktuell nur knapp einem Drittel der von Band X präsentierten Spotify Hörer. Beide Bands (also Hiraes und Endseeker) dürften aber im Vergleich zu Band X weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt sein und in halb Europa so manchen Club auch alleine zum Bersten voll machen.




Was also soll der Scheiß mit diesen künstlich aufgeblasenen Zahlen? Gehts nur um "dicke Eier"? Aufwertung des Selbstwertgefühls? Nein, seit längerem hört man, dass mit Spotify Plays gezielt bei Bookinganfragen argumentiert wird, teils von Band,- aber auch von Veranstalterseite. Mein Mitleid gilt daher gar nicht mal unbedingt letzteren, sondern den vielen anderen, teils seit Jahren in der Szene aktiven, Bands, denen dieser Spotifyscheiß am Arsch vorbeigeht, die dafür aber oftmals beim Booking den Kürzeren ziehen weil jemand anderes bereit ist sein Ego mit Geld künstlich aufzublasen. Man kann nur hoffen, dass die zunehmend immer preiswerter werdenden Methoden eher früher als später dazu führen, dass derartige Statistiken endlich wieder an Bedeutung verlieren. Dann müssen sich Veranstalter eben etwas intensiver mit ihrer Bandauswahl auseinander setzen - im Gegenzug haben sie dann aber vielleicht auch ein Billing, welches nicht eine Woche vor der Veranstaltung mangels VVK Zahlen abgesagt werden muß.


Fazit: 
@Bands: Hört auf mit dem Scheiß! Vielleicht bekommt ihr so den ein oder anderen attraktiven Slot, aber ihr schadet mittelfristig einer ganzen Branche. Ihr spielt nicht nur mit der Glaubwürdigkeit anderer Bands sondern auch mit der Existenzgrundlage von Bookern und Veranstaltern. Ihr finanziert zudem eine ganze Schattenbranche denen es nicht um euch geht, sondern die nur wie Heuschrecken einen Markt abgrasen. Ändert Spotify irgendwann mal seinen Algorithmus, ist von heute auf morgen euer finanzieller Einsatz wertlos, weil das Vertrauen auf Dritte nicht nachhaltig ist. Erspielt euch eure Basis ehrlich anstatt euch auf Festivals und Billings zu schummeln die vielleicht eine Nummer zu groß für euch sind. Wenn ihr das trotzdem machen müsst weil sich so dicke Eier für euch gut anfühlen, dann ordnet das und eure digitalen Zahlen wenigstens richtig ein. Am Ende steht auch eure eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, und wenn die Blase mal platzt steht ihr (zurecht) wie Deppen da und habt euch (ebenfalls zurecht) den Ärger und Unmut von Kollegen und Partnern eingehandelt, die ab einem bestimmten Punkt nicht nur hinter eurem Rücken über euch tuscheln.


@Veranstalter: Ihr kämpft ums Überleben und wollt irgendwie "auf Nummer sicher" gehen. Ich verstehe das. Aber checkt doch einfach selber die Realitäten. Wenn ihr eure Bookings nur an Spotify Hörern festmacht, weil ihr vermeintlich kein Risiko eingehen wollt denkt dran: Es ist nicht alles Gold was glänzt. Eine große Zahl Spotify Hörer sind anno 2024 schon längst kein Garant mehr dafür euch eine "angesagte Band" ins Haus zu holen, sondern im Zweifel einfach nur eine Band, die genug Geld übrig hat um damit den Weg auf eure Bühne, oder einen guten Slot abzukürzen. Und dieses Geld landet nicht bei euch. Wahrscheinlich gibts etliche Bands mit sogar nur dreistelligen Hörerzahlen, die euch aber mit ebenso dreistelligen Leuten die Hütte voll machen. Tauscht euch aus. Mit anderen Veranstaltern, anderen Bands, Labels und Promotern oder hört einfach mal auf euer Bauch,- und Herzgefühl. Da wo der Rock'n'Roll herkommt.

In diesem Sinne
Prost

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